Kants kategorischer Imperativ
Vielleicht kann uns Kants Moralethik, an dieser Stelle namentlich sein “kategorischer Imperativ” weiterhelfen: Wörtlich sagt er – viel zitiert – aus: “Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie zu einem allgemeinen Gesetz erhoben werde.”
Was heißt das? An einem Beispiel erklärt heißt das, wenn ich an einem bittenden Menschen wortlos vorbeigehe, dies nur unter einem Grundsatz tun kann, der meiner Meinung nach für jeden Menschen gelten sollte. Wenn ich selbst knapp bei Kasse bin, wäre meine Begründung: “Gebe nichts ab, wenn du selbst nichts hast”. Wenn ich genug Geld dabei hätte, so wäre es vielleicht: “Gebe nichts an Menschen ab, deren genaue Beweggründe du nicht kennst”. Wir sollen uns also nach Grundsätzen (oder Regeln oder Gesetzen) verhalten, von denen wir glauben, dass es gut wäre, wenn sie jeder befolgte.
Es kann – unter der Prämisse, Geld zum Abgeben zu haben – folglich nicht richtig sein, nach “Gebe jedem bettelnden Menschen, an dem du vorbeikommst, 100 Euro.” Täte dies jeder, so wären über kurz oder lang lediglich die Rollen der Bedürftigen und Nicht-Bedürftigen vertauscht und das Problem nicht gelöst. Nach dem Grundsatz “Gebe nichts” zu handeln, erscheint ebenso fragwürdig, da dies – zum allgemeinen Gesetz erhoben – dazu führte, dass jeder bettelnde Mensch wohl alsbald dem Hungertod erläge.
Wir brauchen also einen Mittelweg, der
Mittelweg und praktische Ausblicke
Wir bedürfen also eines Mittelweges, der der essentiellen Not des Bedürftigen gerecht wird und gleichzeitig ein Maß bewahrt, welches Verantwortung bewahrt und den Gebenden vor allzu großem Schaden bewahrt.
Denn bei allen guten Gaben müssen die ersten vier Stufen der Bedürfnispyramide auch beim Gebenden erhalten bleiben, um zu garantieren, dass er weiterhin einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten kann.
Folglich sollte die Größe der Gabe immer am eigenen Besitztum bemessen sein und vor allen Dingen was man gedenkt, damit anzustellen. Wird das Geld für Besitztum zum Fenster rausgeworfen, wäre es wohl sinnvoller, stattdessen einem bedürftigen Menschen eine Mahlzeit zu bezahlen. Andersherum ist es auch nicht sinnvoll, jemandem Geld abzugeben, der es in Alkohol und Drogen investiert, was evidentermaßen nicht dazu führt, dass er zu einem förderlichen Mitglied der Gesellschaft wird.
Hin und wieder eine materielle Gabe – sei es Essen oder warme Kleidung – sei der Mittelweg, der uns auf den Weg der Nächstenliebe wie auch den der Selbstachtung führt. Für das moralische Gewissen ist es hierbei sehr hilfreich, sich auf einen monatlichen Betrag festzulegen, den man in direkte Hilfe investieren möchte: So bleibt die humanitäre Hilfe in einem Rahmen, der dem Gebenden nicht schadet, und gleichzeitig muss man – wenn der Betrag aufgebraucht ist – eine weitere Bitte nicht mit einem schlechten Gewissen ablehnen. Denn wenn ein jeder beginnt, so zu handeln, dann kann es doch für alle reichen. Und nicht nur für einige Privilegierte, deren Überfluss nur eine Manifestation des Mangels an anderer Stelle ist.