Wo Licht ist, ist auch Schatten
Wir können X nur von X* unterscheiden, weil X und X* existieren. Das mag sehr offensichtlich klingen, führt uns jedoch zu einem interessanten Punkt: Wenn X nicht existierte, könnten wir die Qualität von X* gar nicht wahrnehmen und wenn X* nicht existierte, so könnten wir die Qualität von X gar nicht wahrnehmen. Uns fehlte der Bezug. Denn “freundlich”, “unfreundlich”, “nützlich”, “unnütz” und Co. stehen immer in Bezug zu etwas. “Freundlich” und “unfreundlich” stehen meist in Bezug auf die eigene Erwartung an einen freundlichen zwischenmenschlichen Umgang und “nützlich” und “unnütz” in Bezug auf die individuellen Anforderungen in puncto Nützlichkeit an den Gegenstand. Gäbe es keine “freundlichen” Menschen, woher wüssten wir dann, was “unfreundlich” ist? Gäbe es nichts “Unnützes”, woher wüssten wir dann, was “nützlich” ist?
Das Yin im Yang
Vielleicht ist es also weder notwendig noch gesund, uns von Bewertungen frei zu machen. Vielleicht ist es einfach nur notwendig, uns von der einseitigen Betrachtungsweise eines Begriffes zu lösen und im “X” gleichzeitig auch das “X*” zu sehen, ohne welches es uns den Ausführungen entsprechend unmöglich wäre, das “X” zu kennen.
Das Yin im Yang und das Yang im Yin; so können sich zwei augenscheinliche Gegenteile in ihrer Polarität hervorragend ergänzen. Die dem Zen-Buddhismus zugrunde liegende Einstellung “Alles ist eins” entsteht – vereinfacht dargestellt – aus dieser Überlegung.
Auf Alltagssituationen bezogen könnten wir so in der Unfreundlichkeit einer Person auch die Freundlichkeit sehen, die uns am gleichen Tage vielleicht schonmal begegnet ist. Im Unnützen des kaputten Fernsehers sehen wir vielleicht die Nützlichkeit des funktionierenden Computers und in der “bösen” Chefetage existiert eventuell hin und wieder auch ein Fünkchen “Gutes”. Im Bösen das Gute sehen; im Guten das Böse sehen; das ist Dualismus. Und hin und wieder ist er auch eine beruhigende Botschaft: Das, was da draußen so einseitig erscheint, bedingt an anderer Stelle auch immer sein Gegenteil.