Wenn Humor sich also nur maßvoll eines Themas annehmen sollte, darf er denn potenziell jedes Thema bedienen?
Bleiben wir zur Beantwortung dieser entscheidenden zweiten Frage bei unserem obigen Beispiel. Die Toleranzgrenze der Attentäter wurde – wenn es denn eine gab – von den Karikaturen des französischen Blattes überschritten. Sie fühlten sich offenbar in ihrem Glauben angegriffen. Ihre gewalttätige Handlung ist für eine mehrheitlich pazifistisch eingestellte Bevölkerung schwer nachzuvollziehen, dennoch vermag man sich in die Lage zu versetzen, dass ein Witz “unter die Gürtellinie” gehen kann. Die Witze über die Islamisten mögen uns zum Lächeln bewegen; eine Karikatur über die Toten des Attentats täte dies eher weniger. Aus der Sicht eines Attentäters gilt diese Sichtweise wahrscheinlich umgekehrt. Die Frage des guten Geschmacks definiert sich folglich über unser Maß an Empathie für das Subjekt des Witzes.
Als extremes Beispiel hierfür seien die in der deutschen Unterhaltungslandschaft häufig auftauchenden überspitzten Karikaturen von Adolf Hitler angeführt. Es geht nicht darum, Witze über den Holocaust zu tabuisieren, sondern sie dem Strom der Gesellschaft entsprechend einzusetzen. So wird (völlig zu Recht!) von “Witzen” über den Tod von 6 Millionen Juden abgesehen; die entsetzliche Figur Hitlers ist sich des Spottes der Massen jedoch gewiss. Und somit müssen wir anerkennen, dass die Grenzen unseres Humors auch an dieser Stelle wieder von unseren Werten und Überzeugungen gesetzt werden.
Humor darf und sollte sich jedes Themas annehmen. Der Versuch, einen Umstand humoristisch zu umschreiben und ihm seine Bedeutung zu nehmen, wandert dabei auf dem feinen Grad der Empathie der Zuhörerschaft. Denn Humor, über den nicht gelacht wird, verkommt zu einem narzisstisch anmutendem Krampf, dessen Existenzberechtigung aus der Sucht des Autors nach Aufmerksamkeit besteht. Der Lacher des Publikums erst führt den Witz in die Annalen des Humors ein, die gefüllt sein sollten von Facettenreichtum und Themenvielfalt, während sie doch so abhängig sind von der Gesellschaft, der sie zu Grunde liegen. Der Lachende bestimmt den Humor und die gesellschaftliche Sensibilität seine Grenzen.